Seelsorge ist die Muttersprache der Kirche
Veröffentlicht am Fr, 04.11.2022
von Stefanie Henger
Pfarrerin, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Pfarramt Heilig-Geist-Kirche
Oder hatte sie diese nagende Stimme überhört? Hätte sie etwas ahnen können?
An welcher Stelle sind sie falsch abgebogen?
Schleichend veränderte sich etwas. Reden nützte nichts, beten auch nicht.
Sie zogen sich voreinander zurück. Jemand Drittes ins Gespräch mit hineinzunehmen, war ihnen nicht möglich. Zu ungewohnt, zu peinlich. Wen auch? Die Trauzeugen, einen Pfarrer oder eine Eheberatung? Doch nicht wir… Sie fürchteten die klaren Worte für das, was da war oder besser gesagt nicht mehr da war. Und so ging es weiter bergab. Es gab so viel Misstrauen und Missverständnisse. So viel Schreien und sich zurückziehen. Und viel Geschrei später, viele Tränen später beschlossen sie, sich zu trennen.
Aus der Traum – aus auch der Albtraum.
Wie sie sich schämte, zugeben zu müssen, dass sie gescheitert sind. Klar passiert das heute vielen. Aber sie dachte nicht, dass ihr das passieren würde. Ach, wie sie die Paare beneidete, denen so etwas nicht geschieht. Oder wie geht es den anderen wirklich? Wer spricht schon offen darüber?
Sie hasste die schiefen Blicke, das Mitleid…
Auch im Gebet umschiffte sie das Thema – bat lieber wolkig um Kraft für sich und betete für andere. Bis – ja, bis sie irgendwann mal einen Geistesblitz hatte und verstand: Vor Gott muss ich mich nicht schämen. Er hört mich und geht an meiner Seite wie eine wirklich gute Freundin, ein wirklich guter Freund – auch wenn das Leben ganz anders läuft, als ich mir das vorgestellt habe. Gott sagt nicht: „Alles toll, was du gemacht hast“, aber er sagt: “Ich bin da und stehe das mit dir durch“.
Und weil es gut tut, das nicht nur leise im Gebet zu sagen, suchte sie sich eine Pfarrerin, mit der sie das vor Gott laut aussprechen konnte. Das war ungewohnt und gleichzeitig gut. Sie redete über Liebe und Ärger, ja auch über Hass und Wut, über Verletzungen, Sehnsucht und Abneigung.
Das löste etwas in ihr. Da hörte jemand zu und sie traute sich, sich so zu zeigen, wie sie ist – mit allem Unperfekten. Und es tat ihr gut, sich in all dem Verworrenen, Anstrengenden segnen zu lassen. Und auch mal miteinander zu beten und still zu sein.
Es bewegte sie, als die Pfarrerin anbot, mit dem geschiedenen Paar einen Gottesdienst zu feiern. Einen Gottesdienst, in dem sie beide sich als Paar voneinander verabschieden. Vielleicht könne man auch gemeinsam ein Abendmahl feiern, in dem beide eingestehen, dass sie einander etwas schuldig geblieben sind? Einander das Brot reichen und einander als Geschöpfe Gottes sehen, die jetzt getrennte Wege gehen?
Die Idee arbeitete in ihr und sie begann zu hoffen, dass sie beide einmal so weit kommen würden. Warum sollte dieser Schritt nur im Privaten und vor Gericht begangen werden? Warum nicht auch vor Gott? Er kennt uns doch mit allem, was ist und war! Und liebt uns gleichzeitig.
Und ganz vorsichtig fing sie an zu überlegen, wen sie dann gerne dazu einladen würde.
Die wöchentlichen Andachten evangelischer bzw. ökumenischer Autorinnen und Autoren
(Angedacht KWZ und Zum Sonntag, LKZ) werden zeitnah in diesem Archiv erfasst.
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